Publikation

Publikation, 19BILDER19PICS
Förderpreis der Stadt Düsseldorf

Förderpreisausstellung Kunstraum Düsseldorf
10.12.2010 – 23.01.2011
Katalog: René Zeh
Text: René Zechlin
Fotos: © wie angegeben
Auflage: 300
Herstellung: Jan van der Most, Düsseldorf

René Zechlin
Kunstverein Hanover 2010

Die Case Study Houses waren ein Programm zur Entwicklung neuer Wohnhaus-Architektur nach dem zweiten Weltkrieg in den USA. In der Zeit von 1945 bis 1966 wurden von namhaften Architekten wie Richard Neutra, Charles and Ray Eames oder Eero Saarinen ingesamt 36 Häuser entworfen, die auch größtenteils realisiert wurden. Die modernistischen, einfachen Häuser stehen nicht nur für eine einzigartige und innovative Episode in der Geschichte der Architektur. Sie sind längst Synonym für den verheißungsvollen Aufbruch der Moderne geworden. Ein Aufbruch, der die verschnörkelte Miefigkeit der Vor- und Nachkriegszeit hinter sich lässt und in die Zukunft blickt. Zu diesem Bild haben auch die Fotografien der realisierten Häuser von Julius Shulman beigetragen, die erstmals in der Zeitschrift

Arts & Architecture veröffentlicht wurden. Bilder, wie das des Stahl House von Pierre Koenig hoch über Los Angeles gehören mittlerweile zu Ikonen nicht nur der Architekturfotografie, sondern auch eines bestimmten Lifestyle. Die eingeschossige Großzügigkeit der Räume und die offene Glasarchitektur war bereits in Mies van der Rohes Pavillon in Barcelona anlässlich der Weltausstellung 1929 vorangelegt und findet sich am umfänglichsten in der Architektur der Neuen Nationalgalerie von 1956. Die Bilder der Case Study Houses vermitteln jedoch mehr als nur Architektur. Die Darstellungen stehen auch für einen luxuriösen Hedonismus, wie man ihn aus James Bond oder David Lynch Filmen kennt und die Vorlage für die Träume von Interiordesign- und Lifestylemagazinen bildet.

Die Case Study Houses wurden zu einem Mythos einer Generation, die den Aufbruch der Moderne nicht selbst erlebt hat. Aufgewachsen in der durchschnittlichen (Klein-) Bürgerlichkeit, entdeckt sie eine Vision eines neuen Wohnens und Lebens die bereits stattgefunden hat. Eine paradoxe Situation. Die Häuser versprechen eine Zukunft, die bereits gewesen ist. 

Die Anlage der Case Study Häuser als Fallstudien betont ihren visionären Charakter. Es geht hier um eine aktive und experimentelle Gestaltung der Zukunft und des Lebens. Fallstudien orientieren sich an möglichen realen Situationen, bleiben aber normalerweise eine theoretische Übung. Damit behalten die Case Study Häuser den Charakter eines Modells, obwohl sie bereits realisiert wurden. Architekturmodelle stehen im gestalterischen Prozess zwischen Gedanke und Realisation. Eine Idee, eine Vision die bereits Gestalt angenommen hat, aber noch nicht realisiert ist und vielleicht auch nicht genauso realisiert werden kann. Dieser offene Charakter eines nicht abgeschlossenen Prozesses findet sich auch in Bildern von Gerüsten, Holzkonstruktionen und Rohbauten. Sie vermitteln ein Stadium des „Zwischen“, der Veränderung.

René Zehs Case Study Modelle haben nichts von der kühlen Strenge der Case Study Houses. Sie verknüpfen vielmehr die Idee der Case Study Houses mit der Vorstellung der menschlichen (Ur-) Hütte. Die primitive Behausung als Vor- und damit Urform der Zivilisation und der Architektur. In der Suche nach der einfachen Hütte, steckt eine Sehnsucht nach Ursprünglichkeit, die sich im Urlaub beim Zelten, der Ferienhütte, der Schrebergartenhütte oder dem Baumhaus immer wieder manifestiert.

Die Hütte als Rückzugsort aus der Zivilisation, aus den Anforderungen des Alltags, als Ort des Träumens und der Sehnsucht. 

René Zehs Case Study Modelle vermitteln einen Zustand zwischen Rohbau und Verfall. Wie die Ruinen erwachsen gewordener Kinder erscheinen die Hütten und Baumhäuser seiner Arbeiten. Trotz Lackierung in den Farben des kühlen IKEA-Designs wirken sie provisorisch und unerreichbar. Ausgekleidet mit Ausschnitten aus aktuellen Lifestyle-magazinen werden René Zehs Modelle zu Fallstudien einer hedonistischen Generation. Widersprüchlich, disparat fügen sich Facetten einer unbestimmten Sehnsucht zu einem brüchigen Bild. Es sind Zufluchtsorte der modernen Nomaden, die ihre Koordinaten aus subjektiven Idealen in Beruf, Design, Mode und Lifestyle bilden. 

So sind die für diese Publikation ausgewählten 19 Bilder Referenz- und Arbeitsmaterial zu gleich. Sie zeigen dabei mehr, als die subjektiven Interessen des Künstlers. Die Kombination einer Abbildung des Filmes Bantar Gebang von de Rijke / de Rooij, der mit statischer Kamera ein Slum-Viertel auf einer Mülldeponie in Indien porträtiert, mit den futuristischen Architekturentwürfen von Rem Koolhas ist genauso widersprüchlich und gleichzeitig zeitgemäß wie das in den Case Study Modellen zum Ausdruck kommende Spannungsfeld zwischen provisorischer Hütte und Hochglanz-Oberfläche. Zwischen Affirmation und kritischer Selbstreflexion fördert René Zeh die brüchige Basis einer oberflächlichen Perfektion zu Tage und schafft in eigentümlicher Weise in seinen disparaten Collagen, Zeichnungen, Skulpturen und Modellen oder raumgreifenden Installationen verdichtete Porträts einer widersprüchlichen Zeit. 

„Ich verlange, den Widerspruch meiner Zeit voll zu leben, der aus einem Sarkasmus die Bedingung für die Wahrheit machen kann.“ (Roland Barthes)

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